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Das Duo d'Accord, Shao-Yin Huang aus Taiwan und Sebastian Euler, Preisträger des ARD-Wettbewerbs 2000 und erster Preisträger des weltweit renommiertesten Klavierduowettbewerbs „Muray Dranoff“ in den USA, den sie „mit absoluter Überlegenheit“ (Miami Herald) gewannen, geben hier mit Max Reger ihr CD-Debüt.


Das Duo d'Accord im Interview

Als junges Klavierduo geben Sie Ihr CD-Debüt mit Max Reger. Was reizt Sie an dieser Musik?

Sebastian Euler: Uns fasziniert ihr enormer Facettenreichtum und natürlich auch die pianistische wie musikalische Herausforderung. In Regers Musik stehen drängende und äußerst virtuose Passagen neben zärtlichen, zum Teil sehr intimen Abschnitten; trotz der spätromantischen Harmonik gibt es das Prinzip der klassischen Strenge und darüberhinaus viel Witz – wobei alles einer großen Idee dient. Diese Stimmungen sind in vielen Noten verborgen, und es gilt, sie transparent zu machen. Das Schwierigste für den Interpreten ist der Klang: Er sollte lebendig und ungekünstelt sein, und man braucht viel Zeit, um souverän damit umzugehen.

Shao-Yin Huang: Die große Problematik liegt darin, die eigene Individualität in Regers Ausdrucksextremen zu finden. Wir versuchen besonders intensiv, die Linienführung innerhalb der verwobenen Struktur herauszuarbeiten. Dabei muss man – ähnlich wie bei J. S. Bach – gleichzeitig horizontal und vertikal denken, sonst wirken die schnellen Abschnitte lediglich flüchtig, oder es legen sich andererseits viele Klangschichten ohne Sinn übereinander. Ich glaube, dass hier eine unserer besonderen Stärken liegt, und wenn die Hörer das spüren, ändert sich auch die Einschätzung dieser Musik im allgemeinen Bewusstsein.

Reger hat viele Gesichter. Seinerzeit war er den einen Antipode gegen die als zersetzend gescholtene Moderne, den anderen galt er als Vertreter der modernen Musik. Ist Reger für Sie ein Grenzgänger?

H: Für mich ist Reger einer der letzten Romantiker insbesondere mit Blick auf die Art und Weise, wie seine Musik atmet. Er selbst hat sich nie als Avantgarde empfunden, obwohl er mit seiner Harmonik bestimmte Formen ungewollt gesprengt hat – ähnlich wie Richard Strauss. Aber einer eindeutigen Schublade wird Reger nicht gerecht, er ist ein Einzelfall mit all seinen Stärken und Schwächen.

E: Bei der Beschäftigung mit Reger haben wir seine Musik in ihrem inneren Kern immer als Ausdrucksmusik empfunden. Gerade in den Sechs Stücken gibt es Passagen, die psychologisch stark in die Tiefe gehen, und diese verwickelten Empfindungen werden oft schlagartig aufgelöst. Man spürt, dass Reger da auf seiner Suche nach der Sinnhaftigkeit von Musik etwas Wichtiges gefunden hat, aber was dieses Etwas ist, muss man für sich selbst erst einmal erspüren und versuchen, es zu definieren. Vielleicht ist das ja letztlich sogar die Essenz aller romantischen Musik. Und die Aufgabe der Interpreten besteht darin, dieses Suchen und Fündigwerden in all seiner Komplexität hörbar zu machen.

H: Von den programmatischen Strömungen seiner Zeit hat sich Reger jedenfalls entschieden distanziert. Es gibt ja diese Anekdote: Strauss meint zu Reger „noch einen Schritt, und Sie sind bei uns“, woraufhin Reger entschieden antwortet: „Den Schritt mache ich aber nicht.“ Und das spürt man meiner Meinung nach: Reger bildet das Innere ab, nicht das Äußere.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den drei Werken, die in einem Zeitraum von fünf Jahren (1901–1906) entstanden sind?

E: Einen roten Faden sehe ich nicht. Es gibt aber grundlegende Charakterzüge, die in seinem Schaffen immer wieder auftauchen, weil er vor allem für sich selbst und seinen Anspruch an das Absolute komponiert hat und es ihm egal war, ob die Leute seine Stücke mochten.

H: Und diese verschiedenen Masken von Reger zeigen sich in allen drei Werken. In den Burlesken überwiegt die witzige und manchmal bissige Maske, die Sechs Stücke sind tiefernst, nahezu religiös und von einer Schwere im positiven Sinn. In den Beethoven-Variationen tritt wohl am ehesten die romantische Seite hervor, gerade in den langsamen Variationen. Ich glaube, dass diese drei Werkzyklen zusammengenommen Regers Wesen sehr nahe kommen.

Wie lässt sich das Bizarre in den durchweg lebhaften Burlesken gestalten?

H: Für uns waren die Burlesken neben Schuberts A-Dur Rondo das erste vierhändige Projekt, die Feuertaufe sozusagen, denn pianistisch sind sie wirklich ein Prüfstein. Doch das wirklich Schwierige ist, den überdrehten Humor beim Spielen nicht zu verlieren, sonst kann diese Musik ausgesprochen aggressiv und hart wirken. Jede Burleske hat mehrere Elemente, die sich meist abrupt ins Wort fallen; sie sind aber auch für sich genommen oft unvollständig und sehr sprunghaft, und das wirkt eben bizarr. Nach einem unserer Konzerte schrieb ein Kritiker hinterher von „freudianischem Witz“, und das trifft es genau. Man muss hier die genaue Dosierung aller Mittel finden, um diese Kontraste in eine Einheit zu bringen.

E: Es gibt eine Entwicklung innerhalb der Burlesken, und jede zeigt eine andere Seite des Regerschen Witzes. Die ersten drei sind sehr eigensinnig und spielen sich mit musikalischen Mitteln, etwa die Dritte als ziemlich schräger Walzer. Die Vierte bildet einen Extrempunkt, denn sie kippt um ins Groteske und endet etwas verstörend. Darauf die atemlose Fünfte, in deren Schluss die Musik zum einzigen Mal richtig zur Ruhe kommt. In der letzten Burleske spielt Reger mit dem Thema „O du lieber Augustin“ und macht eine richtige Show daraus. Und dann ist alles schlagartig vorbei.

Mit den Variationen und Fuge über ein Thema von Beethoven op. 86 bezieht sich Reger auf Beethovens Bagatelle B-Dur op. 119, Nr. 11. Wie weit ist Ihnen beim Spielen Beethoven noch präsent?

H: Beethoven ist nach dem Thema rasch verschwunden, das zeigt unter anderem der sofortige Wechsel von B-Dur in eine Kreuztonart an. Besonders in den schnellen Variationen reduziert Reger die Bagatelle auf ein oder zwei Motive, diese bilden die eigentliche Kompositionsbasis. In den langsamen Variationen tritt aber immer Beethovens getragene Stimmung in den Vordergrund, und Reger entwickelt sie zu fantasievollen und wunderschönen Klanggemälden weiter.

E: Auch die harmonische Anordnung zeigt, dass sich Reger weit von Beethoven entfernt: Fast jede Variation steht in einer anderen Tonart, erst mit den letzten Variationen kehrt er endgültig zu B-Dur zurück. Und mit der gewaltigen Choralfuge zum Schluss zieht er dann sein As aus dem Ärmel: die unglaubliche Beherrschung des Kontrapunkts.

Sie haben den ernsten Charakter der Sechs Stücke op. 94 betont, die kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen sind…

H: Die Stücke op. 94 sind für sich zwar nicht übermäßig lang, aber viel ruhiger als etwa die Burlesken, wobei auch sie oft in verschiedene Abschnitte unterteilt sind, dieses Mal allerdings mit logischen Überleitungen. Es ist nicht leicht, diese getragene Spannung über alle sechs Stücke hinweg zu halten, ohne die Tempi zu manipulieren; nur wenn man den strengen Puls einhält, eröffnet sich die wahre Größe des Werkes.

E: Dieses Werk gibt einem schon Rätsel auf: für uns stellt es ein sonatenhaftes Gebilde in sechs Sätzen dar, und ein Vergleich mit Beethovens späten Streichquartetten, die konventionelle Formen gesprengt haben, liegt auch wegen der harmonischen Komplexität und teilweisen Introvertiertheit der Musik nahe. Sicherlich war op. 94 auch im Schatten der umgebenden Klavierwerke gestanden, die viel publikumswirksamer sind. Außerdem war vierhändiges Klavierspiel zu dieser Zeit zwar salon-, aber noch nicht wirklich konzertfähig; Reger selbst hat diese Stücke zwei-, dreimal öffentlich gespielt, und auch da nur die Nummern 1, 3 und 4.

Werden Sie sich weiter mit Reger beschäftigen oder markiert diese CD den Schlusspunkt einer Etappe?

H: Diese Aufnahme markiert zweifellos eine wichtige Etappe in unserer Arbeit. Aber wir sind neugierige Menschen, und es gibt noch sehr viel wunderbare Musik in allen Sparten zu entdecken.

Das Interview führte Dr. Meret Forster vom Mitteldeutschen Rundfunk.